Perspektive DVT – „FAQs aus dem Medizinrecht“

Marco HerdtAllgemein, Publikationen


Perspektive DVT – „FAQs aus dem Medizinrecht“


Haftungsprophylaxe vor Patienten- und Kostenträgeransprüchen 


Prof. Dr. jur. Thomas Schlegel


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Donnerstag, 09.09.2021


Ärzte unterliegen vielerlei regulatorischen Zwängen – die Therapie- und Diagnosehoheit ist jedoch ein geschützter Raum, in den Dritte nicht eingreifen dürfen. Die einzige Grenze ist darin gesetzt, was genau sie ihrem Patienten schulden und ob Patienten Behandlungsfehler geltend machen können.

Das zentrale Ziel einer Diagnose und Behandlung ist die erwünschte diagnostische bzw. therapeutische Wirkung. Abweichungen davon durch unerwünschte Neben- oder Wechselwirkungen, Überdosierung oder die Unterversorgung des Patienten sind haftungsrelevante Ergebnisse falscher Diagnose- / Therapieentscheidungen.

Diese sind insbesondere dann haftungsträchtig, wenn der Patient hierüber nicht aufgeklärt worden ist oder (nach erfolgter Aufklärung) Fehler in der Diagnose/Behandlung entstanden sind. § 11 der ärztlichen (Muster) Berufsordnung regelt hierzu:

Ärztliche Untersuchungs- und Behandlungsmethoden

(1) Mit Übernahme der Behandlung verpflichten sich Ärztinnen und Ärzte den Patientinnen und Patienten gegenüber zur gewissenhaften Versorgung mit geeigneten Untersuchungs- und Behandlungsmethoden.

Die Übernahme der Behandlung beginnt allerdings schon früher, nämlich bei der Aufklärung, der eine zentrale Bedeutung zukommt, jedoch leider häufig vernachlässigt wird. Mit dem „Patientenrechtegesetz“ hat der Gesetzgeber 2012 die Leistungs-, Aufklärungs- und Dokumentationspflicht von Ärztinnen und Ärzten im BGB klar und deutlich normiert, deren Befolgung im Übrigen ganz nebenbei zu erhöhter Regresssicherheit im Sozialrecht führt. In § 630a BGB ist diese Regelung der Berufsordnung nochmals präzisiert worden.

 

1. Abschluss eines wirksamen Behandlungsvertrags durch vorausgehende Aufklärung

Ein Behandlungsvertrag (dazu gehört natürlich auch die Diagnostik) kommt – wie jeder Vertrag – durch Angebot (des Arztes/der Ärztin) und Annahme (des Patienten/der Patientin) zustande. Damit eine wirksame Annahme überhaupt eintreten kann, muss der Patient eine hinreichende Grundlage und Übersicht haben, in die er/sie dann einwilligen kann. Diese Grundlage schafft (nur) das Aufklärungsgespräch. Erst nach erfolgter Aufklärung ist es möglich, in die dann anschließenden Maßnahmen einzuwilligen.

Umgekehrt bedeutet das: Ohne Aufklärung keine Einwilligung, ohne Einwilligung kein Behandlungsvertrag. Das hat weitreichende Folgen.

 

2. Jede (diagnostische) Bestrahlung ist eine Körperverletzung

Wie jeder physische invasive Eingriff (z.B. eine OP) ist auch die radiologische Bestrahlung ein „Eingriff in die körperliche Integrität“ eines Patienten und damit per se eine Körperverletzung. Die Straffreiheit resultiert jedoch aus der wirksamen Einwilligung des Patienten und führt zu einer strafrechtlichen Rechtfertigung der Körperverletzung mit der Folge, dass diese Körperverletzung straffrei ist. Fehlt es jedoch an der wirksamen Einwilligung, bleibt die Körperverletzung und entfällt die Rechtfertigung mit der Folge, dass Strafbarkeit eintritt (neben zivilrechtlichen Schadensersatz- und gegebenenfalls auch Schmerzensgeldansprüchen). Der Gesetzgeber hat diese Verpflichtungen glasklar und deutlich mit entsprechender Dokumentationspflicht in den folgenden gesetzlichen Regelungen verankert:

In § 630c Abs. 2 BGB sind die Informationspflichten gegenüber Patienten geregelt: „Der Behandelnde ist verpflichtet, dem Patienten in verständlicher Weise zu Beginn der Behandlung und, soweit erforderlich, in deren Verlauf sämtliche für die Behandlung wesentlichen Umstände zu erläutern, insbesondere die Diagnose, die voraussichtliche gesundheitliche Entwicklung, die Therapie und die zu und nach der Therapie zu ergreifenden Maßnahmen.“

Die Verpflichtung zur Aufklärung und Einwilligung sind in den nachfolgenden Regelungen des BGB festgelegt und haben für die Diagnostik wie auch Therapie eine entscheidende rechtliche Bedeutung, insbesondere für die zivilrechtliche Haftung:

§ 630 d Abs. 1 BGB erklärt:
„Vor Durchführung einer medizinischen Maßnahme, insbesondere eines Eingriffs in den Körper oder die Gesundheit, ist der Behandelnde verpflichtet, die Einwilligung des Patienten einzuholen.“

Schließlich werden in § 630e BGB die Aufklärungspflichten im Detail geregelt:
„(1) Der Behandelnde ist verpflichtet, den Patienten über sämtliche für die Einwilligung wesentlichen Umstände aufzuklären. Dazu gehören insbesondere Art, Umfang, Durchführung, zu erwartende Folgen und Risiken der Maßnahme sowie ihre Notwendigkeit, Dringlichkeit, Eignung und Erfolgsaussichten im Hinblick auf die Diagnose oder die Therapie.“

Bei der Aufklärung ist auch auf Alternativen zur Maßnahme hinzuweisen, wenn mehrere medizinisch gleichermaßen indizierte und übliche Methoden zu wesentlich unterschiedlichen Belastungen, Risiken oder Heilungschancen führen können.

(2) Die Aufklärung muss

1. mündlich durch den Behandelnden oder durch eine Person erfolgen, die über die zur Durchführung der Maßnahme notwendige Ausbildung verfügt; ergänzend kann auch auf Unterlagen Bezug genommen werden, die der Patient in Textform erhält,

2. so rechtzeitig erfolgen, dass der Patient seine Entscheidung über die Einwilligung wohlüberlegt treffen kann,

3. für den Patienten verständlich sein. Dem Patienten sind Abschriften von Unterlagen, die er im Zusammenhang mit der Aufklärung oder Einwilligung unterzeichnet hat, auszuhändigen.“

 

3. Verschriftlichung der Aufklärung und Einwilligung

Für die radiologische Diagnostik mittels Bestrahlung bedeutet dies, dass eine wirksame Einwilligung nur erfolgen kann, wenn dieser eine dokumentierte und vom Patienten unterzeichnete Aufklärung und Einwilligung vorausgegangen ist. Dieser Aufklärungsbogen ist erst im Rahmen des Aufklärungsgespräches anzufertigen und dem Patienten nach Unterschrift als Kopie auszuhändigen. Diese Verschriftlichung schützt im Übrigen auch vor Haftungsansprüchen im Rahmen der Beweislastumkehr.

 

4. Moderne Schnittbildgebung – Haftung vs. fachlicher Standard

Die Einführung innovativer Diagnostikverfahren in der O&U führt zu der Frage, wann die Unterlassung des Einsatzes für den Arzt haftungsrelevant wird. Dies kann sehr gut am Beispiel moderner 3-D-DVT-Geräte verdeutlicht werden.

Grundlage für den Haftungsmaßstab des Arztes gegenüber seinem Patienten ist § 630 a BGB. Dieser regelt die vertragstypischen Pflichten beim Behandlungsvertrag:

„...(2) Die Behandlung hat nach den zum Zeitpunkt der Behandlung bestehenden, allgemein anerkannten fachlichen Standards zu erfolgen, soweit nicht etwas anderes vereinbart ist.“

Ist der Einsatz eines 3-D-DVT in der O&U bereits „allgemein anerkannter fachlicher Standard“ und kommt es im Einzelfall darauf an? Es ist legitim, die Auffassung zu vertreten, dass der fachliche Standard sich aus Leitlinien und Empfehlungen der Fachgesellschaft herleiten lässt. Welche Verantwortung trägt jedoch der einzelne Arzt gegenüber seinen Patienten in Kenntnis der Verfügbarkeit einer modernen Schnittbildgebung und dem Wissen, dass es Jahre
dauert, bis Leitlinien geändert werden? Dieses Dilemma löst sich in der individuellen Aufklärung des Patienten, denn, wie oben unter § 630 e BGB beschrieben, besteht die Verpflichtung, „auf Alternativen zur Maßnahme hinzuweisen, wenn mehrere medizinisch gleichermaßen indizierte und übliche Methoden zu wesentlich unterschiedlichen Belastungen, Risiken oder Heilungschancen führen können.“

Mit anderen Worten: Steht für die Diagnostik eine Methode zur Verfügung, welche bei der Bildgebung zu einer geringeren Strahlenbelastung führt, ist der Patient darauf hinzuweisen. Dies geht auch bereits aus den Qualitätssicherungsvorgaben der Strahlenschutzverordnung hervor, welche den Maßstab vorgibt, die Strahlenexposition des Patienten so gering wie möglich zu halten. Aber auch das ärztliche Berufsrecht, sowie die Vorgaben des BGB untermauern diese „Schadensminderungspflicht“ des Arztes im Hinblick auf den Strahlenschutz gegenüber dem Patienten. Dies gilt unabhängig davon, ob dem Arzt das Gerät selbst zur Verfügung steht oder nicht.

Ist darüber hinaus anzunehmen, dass für die notwendige Diagnostik eine 3-D- im Verhältnis zum 2-D-Bildgebung besser ist, um im Individualfall keine Frakturen zu übersehen, handelt es sich um eine medizinisch notwendige Maßnahme und ist die Durchführung einer 2-D-Bildgebung dann ein Behandlungsfehler, wenn sich herausstellt, dass die Bildgebung durch ein moderneres Verfahren besser und strahlungsärmer gewesen wäre.

Es ist daher im Rahmen der Verpflichtung gegenüber dem Patienten nicht erheblich, ob sich ein bestimmtes Verfahren bereits in den Leitlinien durchgesetzt hat oder nicht. Es kommt auf die Kenntnis des Arztes an, ob diagnostische oder therapeutische Alternativen zur Verfügung stehen, welche besser und/oder nebenwirkungsfreier sind.

Diese Auffassung haben unterschiedliche oberinstanzliche Gerichte (BGH und BSG) in der Vergangenheit immer wieder bestätigt, sogar im Hinblick auf Kostenerstattungsverfahren im GKV-System. So hatte das BSG entschieden: „Der Arzt hat wegen straf- und zivilrechtlicher Folgen einen eigenen Entscheidungsspielraum, den die Kasse akzeptieren muss“ (BSG vom 13. 05. 2004 – B 3 KR 18 / 03 R).

Der BGH pointierte diese Auffassung nochmals deutlicher: „Finanzielle Aspekte sind bei der Beurteilung der medizinischen Notwendigkeit der Heilbehandlung unbeachtlich“ (BGH vom 12. 03. 2003 – IV ZR 278 / 01).

 

5. Haftungsrisiko im „BG-System“

Interessanterweise unterliegt der Einsatz moderner Schnittbildgebung im System der Unfallversicherung zwar grundsätzlich denselben Haftungsgrundlagen, mit dem kleinen, aber für Ärzte entscheidenden Unterschied, dass D-Ärzte im „BG-System“ nicht persönlich für Fehler in der Ausübung ihrer Tätigkeit haften, sondern der Kostenträger, die DGUV, selbst. Dies hat der BGH in seinem Urteil vom 29. 11. 2016 – VI ZR 208 / 15 so beschlossen. Haftungsansprüche des Patienten für den fehlerhaften Einsatz von Diagnostika und / oder fehlerhafte Befunderhebung gehen damit zulasten des Kostenträgers, nicht des Arztes. Dennoch bleibt die Frage der strafrechtlichen Verantwortung bestehen, da der BGH lediglich die zivilrechtliche (Schadensersatz) Haftung beurteilt hat. Insoweit sind D-Ärzte auch hier gut beraten, die vorgenannten Vorgaben zu erfüllen, wenngleich Ihnen erst einmal kein zivilrechtlicher Anspruch der Patienten droht.

 

Fazit und Handlungsempfehlung

Die Verfügbarkeit moderner Bildgebungsverfahren steht immer in Verbindung mit der ärztlichen Beurteilung der medizinischen Notwendigkeit deren Einsatzes. Patienten haben Anspruch auf umfassende Aufklärung, einschließlich der Kenntnis über Strahlenbelastung und einer (besseren) Bildgebung, je nach Indikation. Insoweit ist der Aufklärung von Patienten eine besondere Aufmerksamkeit geschuldet, allein um sich selbst abzusichern.

Strahlenarmut und Qualität der Bildgebung für die einwandfreie Befundung unterliegen der alleinigen Verantwortung des Arztes im Hinblick auf die Notwendigkeit des Einsatzes des richtigen Gerätes. Dabei ist es nicht verpflichtend, das Gerät selbst vorzuhalten – entscheidend ist das Wissen um die Notwendigkeit und Verfügbarkeit. Gegebenenfalls muss der Patient überwiesen werden, soweit der Akutzustand des Patienten dies erlaubt.

Dieser Zwang gegenüber dem Patienten ist höchstrichterlich beschieden, aber auch ein Schutzschild in der Argumentation gegenüber Versicherungen und Kostenträgern. Denn hier haben BSG und BGH gleichermaßen klargestellt, dass die Haftungsgefahr des Arztes gegenüber dem Patienten Vorrang genießt und es in seiner ärztlichen Hoheit liegt, die Notwendigkeit des Einsatzes einer bestimmten Maßnahme zu bestimmen.

Diese Erkenntnis schützt aber auch gleichzeitig vor unerwünschten Ansprüchen von Patienten, Versicherungen und Kostenträgern. Ärztinnen und Ärzte sollten daher folgende Grundspielregeln beherzigen:

· Üben Sie Ihre patientenindividuelle Therapiefreiheit mit Rückenwind der Rechtsprechung und geltender Gesetze aus.

· Es bedarf der Aufklärung und Erläuterung der medizinischen Notwendigkeit von Diagnostik- und Behandlungsmaßnahmen gegenüber dem Patienten in einem Aufklärungsgespräch.

· Erst dies führt zur wirksamen Einwilligung und damit Abschluss des Behandlungsvertrags.

· Das Aufklärungsgespräch muss dokumentiert und vom Patienten unterzeichnet werden.

· Der Patient erhält von der Aufklärung und der Einwilligungserklärung eine Kopie.

· Diese Argumentation der Notwendigkeit der eingesetzten Diagnostik schützt vor Haftungsansprüchen der Patienten und Angehörigen, sowie vor Kostendiskussionen mit Versicherungen und Kostenträgern.




Prof. Dr. Thomas Schlegel


Erschienen in: SCS Magazin 02-2021